Wissenschaftliche Integrität am DIP

Sven Rottenberg, 21.06.2021
(Text adaptiert von „Integrity in Science“ von Piet Borst, The Netherlands Cancer Institute)

In den letzten Monaten ist am DIP das Thema wissenschaftliche Integrität aus verschiedenen Richtungen aufgekommen (Biobanking, Zusammenarbeiten, Vortrag Elisabeth Bik). Wissenschaftliche Integrität ist häufig ein Thema bei der Untersuchung von Verdachtsfällen auf wissenschaftlichen Betrug. Integrität ist allerdings mehr als die Absenz von Betrug. Dies wird insbesondere deutlich in den Grundsätzen und Verfahrensregeln der Schweizerischen Akademien der Wissenschaften („Kodex zur wissenschaftliche Integrität“ vom Mai 2021, PDF), welche im Einklang mit den Regeln des SNF stehen (LINK). Auch die Universität Bern hat hierfür ein Reglement (PDF) und einen Integritätsbeauftragten (LINK).

Wir verpflichten uns am DIP natürlich zur Einhaltung dieser Grundsätze und Regeln. Darüber hinaus sind aber auch Fragen aufgekommen an unsere Zusammenarbeit. Insbesondere jüngere Wissenschaftler+*innen vermissen hier eine Orientierung. Dieses Thema wurde im DIP-Ausschuss und DIP-Rat diskutiert und wir denken, dass wir uns diesem Ziel am besten durch die Betrachtung einiger praktischer Beispiele nähern, und wie wir hier die allgemeinen Verhaltensregeln interpretieren.

1. Neue Materialien

Forscher*in A (intern) isoliert einen neuen Antikörper (oder ein DNA Konstrukt, einen diagnostischen Test, etc.), und dieser ist auch nützlich für andere.  Solange die Resultate von diesem Antikörper noch nicht publiziert sind (und somit noch nicht öffentlich sind), kann A den Gebrauch für sich und ihre/seine Gruppe begrenzen. Es ist auch angebracht den Gebrauch des Antikörpers zu beschränken bis die Spezifität sorgfältig bestimmt ist. Falls A entscheidet vor der Veröffentlichung den Antikörper an B auszuhändigen, kann A verlangen, dass dies im Rahmen einer Kollaboration geschieht. Eine Co-Autorenschaft kann Teil dieses Geschäftes sein. Es ist auch möglich, dass B schöne Resultate mit dem unveröffentlichten Antikörper erhält ohne dass A etwas zu dem konkreten Experiment oder der Interpretation beigetragen hat. Es wäre dann elegant, wenn A auf eine Co-Autorenschaft verzichtet, und sich mit der Danksagung begnügt. Dies ist auch durchaus sinnvoll, denn wenn A nicht in die Arbeit involviert ist, hat sie/er das Risiko, dass ihr/sein Name mit unsolider Forschung verbunden wird. Eine Co-Autorenschaft wäre allerdings in diesem Fall auch nicht missbräuchlich. Ob Forscher*in A den unveröffentlichten Antikörper an Forscher*in B (intern) gibt, ist letztendlich Sache von A. Wir würden uns wünschen, dass dies der Fall ist, denn ein früher Austausch führt zu mehr Synergien zwischen den Forschenden an unserem Departement. Wenn A allerdings der Meinung ist den Antikörper für sich zu behalten, hat sie/er das Recht hierzu. Es ist nicht elegant, aber nicht falsch.

Der Fall verändert sich, sobald der Antikörper publiziert ist, und somit öffentlich ist. Nun sollte A sicherstellen, dass dieser Antikörper anderen Forscher*innen zur Verfügung gestellt wird. Wenn dieser Antikörper kommerziell erhältlich wird, gibt es offensichtlich keine Bedingungen. Es wäre allerdings nicht seriös, wenn A Bedingungen an diesen Antikörper knüpft, solange er nicht zum Verkauf bereitsteht. Natürlich kann A von B verlangen einen angemessenen Preis zu zahlen, und natürlich muss A keine unlimitierten Mengen zur Verfügung stellen. Forscher*in A kann allerdings nicht verlangen, dass dieser Antikörper Teil einer Zusammenarbeit wird und sie/er Co-autor*in auf Publikationen wird in welchen Resultate mit diesem Antikörper veröffentlicht werden. Dies wäre nicht angemessen, und viele wissenschaftliche Zeitschriften verlangen auch, dass Materialien welche in der Zeitschrift veröffentlicht werden, ohne Bedingungen anderen Forscher*innen zur Verfügung gestellt werden. Falls der Antikörper einen potenziellen kommerziellen Wert hat, ist es angebracht, dass der/die Empfänger*in gefragt wird ein „Materials Transfer Agreement (MTA)“ zu unterzeichnen. Unitectra (https://www.unitectra.ch) hat ein entsprechendes Standardformular.

2. Ideen

Ideen sind frei und gute Forscher*innen sind grosszügig mit diesem Rohstoff. Manchmal findet man die besten Wissenschaftler in der Danksagung und nicht in der Autorenliste. Nichtsdestotrotz führt der Umgang mit Ideen häufig zu Differenzen. Forscher*in B ist sich sicher einen wesentlichen Beitrag zur Forschung von A gemacht zu haben (z.B. der Vorschlag die HeLa Zelllinie zu benutzen, der Vorschlag RNASeq zu machen, der Vorschlag mit Forscher C zu sprechen, etc.), aber Forscher*in A sieht dies als kleinen Beitrag unter Kollegen für welchen es keine Co-Autorenschaft braucht. Dies sind schwierige Fragen für welche es keine exakten Regeln gibt. Unser Rat ist hier grosszügig gegenüber den Kolleg*innen und sich selbst zu sein. Wir haben fast alle die Tendenz den eigenen Beitrag zu überschätzen, und den Beitrag von anderen zu unterschätzen. B hat möglicherweise viel mehr beigetragen, und der eigene Beitrag war möglicherweise trivial. Grosszügigkeit ist auch hilfreich, um von dem Knowhow von anderen zu profitieren. Wenn Leute mit guten Ideen involviert sind, und diese auch aktiv in die Analyse des Projektes involviert werden (weil sie ggf. auch Co-Autor*in sind), kann die Qualität der Forschung nur gewinnen. Gegenüber den eigenen Ideen sollte man allerdings auch sehr selbstkritisch sein, um zu verhindern mitverantwortlich gemacht zu werden für die Forschung auf einem Gebiet in welchem man sich nicht auskennt, oder für Resultate welche sich sogar als falsch herausstellen.

3. Facilities

Im Prinzip werden Gerätschaften von den Personen betrieben und beaufsichtigt für welche sie angeschafft wurden. In der Regel zahlt die Fakultät/Universität hierfür (auch über den Betriebskredit eines Instituts oder einer Klinik), und ein*e Forscher*in kann daher nicht einer/einem Kolleg*in sagen, Du kannst „meine“ Zentrifuge nicht benutzen. Im Prinzip steht das Equipment allen kompetenten Forscher*innen zur Verfügung, welche wissen wie es bedient wird. Natürlich müssen wir hierbei praxisnah bleiben. Ein*e Forscher*in die/der sich nun entscheidet ein bestimmtes Gerät benutzen zu wollen, muss sich hintenanstellen. Die Tatsache, dass Pipettenspitzen im Institut A letztendlich von der Fakultät/Universität bezahlt worden sind, bedeutet nicht, dass alle anderen Institute nun ihre Leute ins Institut A schicken um ihre Pipettenspitzen zu holen.

Eine Variation dieses Themas ist Equipment welches durch Drittmittel angeschafft wurde. Dieses ist im Prinzip auch Teil der Vetsuisse (Universität Bern), denn die Fakultät/Universität stellt die Struktur zur Verfügung, um überhaupt Projekte mit diesen Drittmitteln durchführen zu können. Wenn die/der Gesuchstellende das Institut/die Fakultät verlässt, verbleibt das Equipment im Institut/in der Fakultät, ausser dies ist speziell geregelt zwischen dem Forscher und der Fakultät.

Die Situation wird etwas komplizierter wenn Forscher*in A einen Antikörper von Forscher*in Z aus den USA bekommt, und Forscher*in B möchte diesen ebenfalls gebrauchen. Wenn A diesen Antikörper speziell für ihre/seine Forschung bekommen hat mit der Auflage diesen nicht an andere Forscher weiterzugeben, dann kann A diesen Antikörper nicht einfach an B geben. Wenn Z allerdings B zu A geschickt hat, weil A bereits den Antikörper von Z bekommen hat, dann ist es offensichtlich, dass A diesen mit B teilt. Nicht zu teilen wäre missbräuchlich. Dies gilt umso mehr wenn das Material nicht limitiert ist, wie z.B. Zelllinien oder cDNA.

4. Territorien

Primaten haben einen starken Territorialinstinkt, und Forscher*innen sind hier keine Ausnahme. Wenn Forscher*in A seit Jahren elegante Experimente mit dem Haushuhn macht, und Forscher*in B (aus einem anderen Institut des DIP oder der Fakultät) sich ebenfalls dafür entscheidet mit dem Huhn zu arbeiten, können zwei Arten der negativen Reaktion bei A entstehen:

  1. Schön dass Du mit mir zusammenarbeiten möchtest (aber B möchte überhaupt gar nicht zusammenarbeiten)
  2. Bleib weg von meinem Huhn!

Solche Reaktionen sind emotional verständlich, aber sie können nicht rational verteidigt werden und sollten als falsch beurteilt werden. Das Haushuhn ist im öffentlichen Bereich, und wenn Forscher*in B hiermit arbeiten möchte ist es ihre/seine Entscheidung. Es ist natürlich wünschenswert, dass DIP Forscher*innen, die auf dem gleichen Gebiet oder mit dem gleichen Objekt arbeiten, gegenseitig von ihrem Knowhow, Erfahrung und Kontakten profitieren. Eine Zusammenarbeit wird also bevorzugt und die DIP-Leitung stimuliert eine solche Zusammenarbeit. Es sieht auch merkwürdig aus, wenn Forscher derselben Fakultät auf dem gleichen Gebiet arbeiten ohne Zusammenarbeit, gegenseitigen Verweis (Zitierungen), oder ohne sich gegenseitig zu konsultieren. 

Letztendlich ist es aber die Entscheidung von B.  Anstatt zu prostieren sollte sich A lieber fragen wieso B nicht mit ihr/ihm zusammenarbeiten möchte. Es besteht allerdings keine Meinungsverschiedenheit in Bezug auf den ethischen Aspekt dieses Konfliktes: Es ist nicht sehr elegant eine Zusammenarbeit abzulehnen, aber es ist kein Missbrauch. Es wäre allerdings missbräuchlich, wenn A den Start der Forschung von B erschweren würde.

5. Vertrauliche Information

Es ist eigentlich selbstverständlich, dass vertrauliche Information vertraulich bleibt. Aber in der Praxis ist dies nicht immer der Fall. Es mag ja schön sein anderen zu erzählen, dass eine/ein Kollegin/Kollege aus der Vetsuisse eine wichtige Entdeckung gemacht hat. Aber dieser Bruch der Vertraulichkeit ist möglicherweise nicht so schön für die/den Kollegin/Kollegen. Selbst wenn die/der Kollegin/Kollege gewöhnlich über unveröffentlichte Resultate berichtet, wird sie/er es wahrscheinlich vorziehen, dies selber zu tun.

Ein häufiger Fehler ist, dass Forscher*innen die Artikel oder Forschungsgesuche von direkten Konkurrenten beurteilen. Selbst wenn die/der Forscher*in dies im guten Glauben tut (und dies ist meistens der Fall), schliesst dies einen negativen Ausgang für die/den Konkurrentin/Konkurrenten nicht aus. Das Problem ist nicht nur, dass man schärfere Kriterien ansetzen könnte oder vertrauliche Informationen unbedacht aufnimmt. Man kann die Artikel auch ganz anders evaluieren als ein durchschnittlicher Reviewer. Daher wird man die Artikel ohne Absicht viel kritischer beurteilen als der Durchschnitt. Es ist daher weise solche Interessenskonflikte zu vermeiden, und den Artikel oder das Forschungsgesuch ungelesen zurück zu weisen.

6. Patienten

Gute klinische (epidemiologische) Studien basieren häufig auf einer ausreichenden Anzahl an Fällen (Patienten). Häufig handelt es sich auch um Fälle aus unterschiedlichen Praxen/Kliniken, und dies kann Probleme mit Co-Autorenschaften verursachen. Diese Studien benötigen entweder die klinischen und paraklinischen Berichte von Patient*innen welche in der Vergangenheit behandelt worden sind (retrospektive Studien), oder die Hilfe der/des entsprechenden Tierarztes/Tierärztin die Daten zu erheben. Die Tierärzt*innen (inklusive der Parakliniker*innen) welche Patient*innen oder Patient*innendaten zu diesen Studien beitragen, erwarten in der Regel eine Co-Autorenschaft, falls die Ergebnisse veröffentlicht werden. Häufig wird die Co-Autorenschaft schon vereinbart bevor ein Forschungsantrag eingereicht ist („selling the hide before shooting the bear“).

Klinische und epidemiologische Studien sind so gut wie die Qualität der Daten welche hierzu herangezogen werden, und viele Kliniker*innen und Parakliniker*innen finden es vernünftig, dass die Expertise und der Aufwand zur Sammlung der Daten mit einer Co-Autorenschaft belohnt wird. Selbst dann wenn die Co-Autor*innen keinen Beitrag für das Design der Studie, der Interpretation der Daten, oder das Schreiben des Artikels leisten. Da diese Handlungsweise weit verbreitet ist, würden wir sie nicht als falsch bezeichnen. Wir möchten allerdings betonen, dass diese Art der Co-Autorenschaft Risiken in sich birgt. Sie entspricht möglicherweise nicht den Anforderungen führender Zeitschriften an die Ko-Autorenschaft. Ausserdem kann es eine*n respektierte*n Kliniker*in/Parakliniker*in mitverantwortlich machen für schwere Fehler, welche hinter ihrem/seinem Rücken begangen wurden. Wir empfehlen daher Bescheidenheit für Studien welche von anderen koordiniert werden, und in welchen der Beitrag unseres Departements (externe Projekte) oder von einzelnen Instituten/Kliniken (interne Projekte) gering ist.

7. Co-Autorenschaften

Die hauptsächlichen Punkte zu Co-Autorenschaften sind oben bereits besprochen worden. Trotzdem entstehen häufig Konflikte aufgrund eines mangelnden Austausches der Co-Autoren. Leider kommt es auch vor, dass Artikel an Zeitschriften versendet werden ohne das OK aller Co-Autoren. Noch häufiger passiert es, dass Artikel in der Revision massiv verändert werden ohne Kenntnis aller Co-Autoren. Oft ist es notwendig neue Experimente in das revidierte Manuskript einzufügen. In diesem Fall ist es nicht akzeptabel und missbräuchlich den Artikel wieder an die Zeitschrift zu versenden ohne das Einverständnis aller Co-Autoren.

Falls es trotz der oben genannten Punkte zu Meinungsunterschieden kommt, ist es sinnvoll hier frühzeitig den Leiter der Forschungskommission zu kontaktieren, oder einen anderen erfahrenen Forscher der nicht Teil des Konfliktes ist. Solche Konflikte können häufig leicht gelöst werden bevor sie eskalieren, solange die Beteiligten noch miteinander reden.